KulturPiloten beim „König von Deutschland“

„Kinder beflügeln“: außergewöhnlicher Friedhofsbesuch der Viertklässler*innen aus Wedding

Frau zeigt inmitten von Kindergruppe auf Tür
Schauspielerin und Kampagnen-Unterstützerin Jessica Ginkel (Mitte) begleitete den Ausflug der KulturPilot*innen auf einen Schöneberger Friedhof.

Wenn die KulturPilot*innen Berlin erkunden, dann ist das viel mehr als ein gemeinsamer Spaziergang oder Museumsbesuch. Und so wird auch der Ausflug zu einem Schöneberger Friedhof für acht Viertklässler*innen der Gottfried-Röhl-Schule zu einem ganz besonderen Bildungserlebnis. Mit dabei: Schauspielerin Jessica Ginkel. Sie unterstützt „Kinder beflügeln“ seit Jahren und ihr großer Wunsch war es, einmal mit den KulturPilot*innen auf Entdeckungsreise zu gehen. 

Die KulturPilot*innen sind ein Projekt der Bildungskampagne „Kinder beflügeln“ des Evangelischen Johannesstifts und der Johannesstift Diakonie Jugendhilfe. Durch die Corona-Einschränkungen konnten die beteiligten Schüler*innen zuletzt nur Ausflüge in ihren jeweiligen Schulbezirken unternehmen: Jetzt steht ihnen wieder ganz Berlin offen. Das heutige Ziel für die KulturPilot*innen: der Alte St.-Matthäus-Kirchhof Berlin. 

Bevor es mit der Straßen- und S-Bahn von Wedding bis nach Schöneberg geht, steht eine kurze Lagebesprechung in der Schule auf dem Plan. Viele der Kids waren noch nie auf einem Friedhof. Der 10-jährige Ben weiß aber zu berichten: „Auf einem Friedhof ist es meistens ruhig und da gibt es auch viel Grünzeug.“

Kinder auf Friedhof
Kinder besuchten die Gräber vieler bekannter Personen.
Spielende Kinder, im Vordergrund das Netz eines Fußballtores
Nach vielen leisen Schritten durfte dann auch das Spielen nicht fehlen.

„Nicht rennen!“

Der Alte St.-Matthäus-Kirchhof hat eine lange Historie. 1856 eingeweiht, finden Besucher*innen viele kulturhistorisch bedeutende Grabmäler, die heute unter Denkmalschutz stehen. Als die Kinder ankommen, wird ihnen schnell klar: Ein Friedhof ist nicht nur ein Ort des Gedenkens. Er ist für viele Menschen eine grüne Oase, in der sie mitten in der Stadt Stille in der Natur genießen können. Er erzählt aber auch Geschichten über die Menschen, die um ihn herum lebten und dort begraben sind. 

Außerdem lernen die jungen Besucher*innen, Rücksicht zu nehmen auf andere Friedhofsbesucher*innen, insbesondere auf Trauergruppen. Immer wieder ermahnen sie sich gegenseitig: „Nicht rennen“ oder „psssst!“ Als die Gruppe an den Engelsgräbern, den Ruhestätten für Kinder, die im Leib der Mutter oder bei der Geburt gestorben sind, vorbeikommt, wird es für einen Moment noch stiller. 

Das Ganze wäre natürlich kein Ausflug von „Kinder beflügeln“, wenn es nicht auch Herausforderungen gäbe: Die erwachsenen KulturPilot*innen Karolin Techert und Heiko Fischer haben Aufgabenzettel für die Schüler*innen vorbereitet. Auf denen steht zum Beispiel: „Finde das Grab von Friedrich Drake (hat den goldenen Engel auf der Siegessäule gebaut).“ 

Chancen für ein gutes Leben

In kleinen Gruppen machen sich die Schüler*innen auf die Suche. Wenn sie erfolgreich sind, heißt es: Den Ort auf einem Friedhofsplan markieren und die Geburts- und Sterbedaten notieren. Auch Jessica Ginkel ist mit Feuereifer dabei. „Solche Projekte, in denen Bildung so lebendig vermittelt wird, gab es zu meiner Schulzeit nicht“, staunt sie. „Dabei ist Bildung so wichtig, weil sie Chancen für ein gutes Leben schafft.“

Immer, wenn ein Kind eine gesuchte Ruhestätte gefunden hat, kommen alle zusammen, um mehr über die dort bestattete Person zu erfahren. Das Grab des Musikers Rio Reiser zum Beispiel schmückt eine kleine Krone. Die königliche Insigne hat musikalische Gründe. Leise aber hörbar lässt Karolin Techert Reisers bekanntesten Song „König von Deutschland“ auf einer mitgebrachten kleinen Bluetoothbox abspielen. Die Kids sind beeindruckt – der Künstler weiß auch posthum zu begeistern. Musikalisch wird es auch am Grab von Chris Roberts. Dort lauschen die KulturPiloten seinem bekannten Schlager „Du kannst nicht immer 17 sein“.

Die Ruhestätte des ehemaligen Boxchampions Graciano Rocchigiani ist vergleichsweise leicht zu finden – seine Grabstelle in Form eines Boxringes sticht deutlich hervor. Von dort aus geht es weiter zum Ehrengrab der Gebrüder Grimm. Techert liest Janoschs Version von „Der Froschkönig“ und die Schüler*innen hören aufmerksam zu. Janoschs Märchen ist ihnen vertraut und doch ganz anders. Spätestens als sich in der Geschichte das Mädchen am Brunnen in eine wunderschöne Froschprinzessin verwandelt, ist die Überraschung groß.

Die Schüler*innen nehmen viele Eindrücke mit nach Hause. Auf dem Heimweg tauschen sie sich über das Erlebte aus. Der 10-jährige Luniz hat eine besondere Erinnerung mitgenommen, die ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. Noch in der S-Bahn singt er vergnügt: „Du kannst nicht immer 17 sein!“